Anmerkungen zu Diözesan- und Dombibliothek Handschrift 35. Beitrag von Alexander Arweiler in 'Glaube und Wissen im Mittelalter', Katalogbuch zur Ausstellung, München 1998, S. 92-93
Salzburg, um 800
Hieronymus (347/348-419/420), dessen Hauptwerke die große Bibelübersetzung und zahlreiche Kommentare zu biblischen Schriften bilden, hat auch eine ganze Anzahl von Briefen verfaßt, die ein vielfältiges Bild nicht nur der Person des großen Gelehrten, sondern auch seiner Umgebung und des gesellschaftlichen Lebens zu Beginn des 5. Jahrhunderts vermitteln. Obwohl Fragen der Exegese auch in den Briefen eine wichtige Rolle spielen, fehlen doch nicht praktische Ratschläge zur Lebensgestaltung an seine adeligen Freundinnen aus der römischen Oberschicht, Überlegungen zur Askese, die berühmte theoretische Abhandlung über die richtige Weise des Übersetzens, Anweisungen zur Erziehung eines jungen Mädchens usw. Das zeitweise äußerst gespannte Verhältnis der beiden ebenso maßgeblichen wie eigensinnigen Theologen ihrer Zeit, Hieronymus und Augustinus (354-430), dokumentiert der besonders von Hieronymus' Seite aus zum Teil sehr scharf formulierte Briefwechsel der beiden. Neben weiteren Texten anderer Autoren - vor allem den Themen Selbsterkenntnis und Ermahnung zu tugendhaftem Leben gewidmet - bietet der Codex auch eine Reihe von Predigten des Caesarius von Arles, der vierzig Jahre lang (502-542) als Bischof nicht zuletzt kirchenpolitisch Bedeutendes geleistet hat und für seine Redekunst von der Nachwelt hochgeschätzt wurde.
Der Codex scheint aus einer umfassenderen Sammlung von Briefen abgeschrieben zu sein, da auf Folio 1r der Text mit einem rubrizierten Titel ad eundem de syraphim beginnt, also mit der typischen Formulierung für ein zweites Schreiben an einen bereits genannten Empfänger. Eine ganze Reihe von Schreibern arbeitete hier in verschiedenen Typen einer frühen karolingischen Minuskel nebeneinander. Folio 1-224 stammen im wesentlichen von einer Hand und wurden frühzeitig um fünf Lagen (225r-265v) erweitert; offenbar hatte man eine Fortsetzung von Beginn an geplant. Einiges Interesse verdient der Codex auch wegen der vielen lateinischen Erklärungen, die abweichend von der üblichen Tintenschrift mit einem Griffel in das Pergament eingeritzt worden sind (z.B. fol.14r, 16v usw.; vgl. Bischoff 1966).
Der Codex entstammt der Salzburger Schreibschule vom Ende des 8. Jahrhunderts, wahrscheinlich aus jener Zeit, als Arn Erzbischof von Salzburg war (785/798-821) (vgl. CLA VIII 1959, Nr.1146). Wahrscheinlich gelangte er durch Vermittlung von Erzbischof Hildebald (vor 787-818) nach Köln, denn das in der Nähe von Salzburg gelegene Kloster Mondsee wurde ihm 803 unterstellt (vgl. Bischoff II 1980, S.9).
Alexander Arweiler